am 15.11. 18:00 im Drusus One mit:
Sevim Dagdelen (BSW, MdB),
Patrik Köbele (DKP-Vorsitzender)
Ulrike Eifler (Verdi)
Felix Oekentorp (DFG-VK NRW)
„Podiumsdiskussion zur Aufrüstung“ weiterlesenam 15.11. 18:00 im Drusus One mit:
Sevim Dagdelen (BSW, MdB),
Patrik Köbele (DKP-Vorsitzender)
Ulrike Eifler (Verdi)
Felix Oekentorp (DFG-VK NRW)
„Podiumsdiskussion zur Aufrüstung“ weiterlesenEinstieg
Wir beschäftigen uns heute damit, wie die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) zur Massenpartei wurde.
Ausgabe des VKPD-Plakats „Proletarier! Wählt Kommunisten! Liste V.K.P.D.“ (1921)
Leitfrage: Welche Partei sollten die Proletarier wählen?
Nach der Vereinigung mit der USPD (Linke) wurde die KPD umbe-nannt in Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands (VKPD).
Die Entwicklung der KPD (Spartakusbund) zur Massenpartei (im Zeitraum von Januar 1919 bis Dezember 1920)
Das ist das Thema meines heutigen Vortrags, der nicht gehalten wird, um Nostalgikern das Herz zu erwärmen. Vielmehr soll er hilfreich sein für unser aktuelles Ziel, die DKP erheblich stärker in der lohnab-hängigen Bevölkerung und somit in den Betrieben zu verankern.
Zu diesem Zweck wird gezeigt, wie aus der kleinen KPD (Spartakus-bund) innerhalb von zwei Jahren die Massenpartei VKPD (Sektion der Kommunistischen Internationale) werden konnte.
1. Ein Rückblick als Vorbemerkung
Weil die sozialdemokratischen Parteien SPD und USPD geprägt waren durch eine sonderbare Zusammenhangslosigkeit zwischen ihrem revolutionären marxistischen Grundsatzprogramm und ihrer Tagespolitik, gründeten ehemalige Sozialdemokraten um Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Franz Mehring an der Jahreswende 1918/19 eine kommunistische Partei – nämlich die KPD.
Das ist meine These, die nun ein wenig erläutert wird.
Zwar verkündete die Sozialdemokratie – im Anschluss an Karl Marx – in ihrem Grundsatzprogramm, dass es gutes Leben für alle Gesellschaftsmitglieder nur jenseits der kapitalistischen Waren-produktion geben kann. Denn der Zweck der kapitalistischen Produktionsweise ist die Vermehrung des investierten Unternehmer-geldes mittels Warenproduktion: Geld-Ware-Geld› – so lautet die Zauberformel der kapitalistischen Plusmacherei! Für diesen bor-nierten Zweck wird der lohnabhängige Mensch als „variables Kapital“ instrumentalisiert, dessen Lohnkosten minimiert werden müssen, um den Betriebsgewinn des Kapitalisten zu maximieren. Das kräfte-zehrende und zugleich karge Leben des Lohnabhängigen hat seinen Grund mithin im kapitalistischen Wirtschaftssystem, weshalb dieses warenproduzierende System überwunden werden muss.
Eine Strategiekonzeption für die Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems hatte die Sozialdemokratie jedoch nicht, und zwar weder die SPD noch die USPD. Die allermeisten Sozialdemokraten glaubten nämlich an einen naturnotwendigen Zusammenbruch der kapitalistischen Produktionsweise, auf den sie in ihren „Wahlver-einen“ geduldig, aber vergeblich warteten. [Fußnote 1]
Nicht warten auf den „großen Kladderadatsch“ wollten die Kommu-nisten um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, sodass sie mit der Sozialdemokratie und deren „Nur-Parlamentarismus“ brachen. Stattdessen entwickelten die Kommunisten eine revolutionäre Machteroberungsstrategie namens „Massenstreik“.
Die Massenstreikstrategie überwand den sozialdemokratischen „Nur-Parlamentarismus“, indem sie auf die Verankerung der Kommunisten in den Betrieben orientierte. Die ökonomische Macht der Lohnarbeiter als organisierte Klasse nutzend, sollten Massenstreiks die politische Machteroberung der Partei einleiten.
Dass ein Zusammenhang bestehen muss zwischen der tages-politischen Praxis und dem revolutionären Endziel, ist eine zentrale Lehre, die unsere DKP aus der KPD-Geschichte gezogen hat. Deshalb wurde beispielsweise auf dem 22. Parteitag der DKP zur „Sicherung der Lebensgrundlagen“ beschlossen:
„Es gilt die Einsicht zu stärken, dass letztlich nur ein Bruch mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise und die Errichtung einer sozialistischen Planwirtschaft dauerhaft wirksame Maßnahmen für Klima- und Umweltschutz möglich machen.“ [Fußnote 2]
Das war mein Traditionsbewusstsein stiftender Rückblick und nun folgt Oberpunkt …
2. Die Entwicklung nach dem Gründungsparteitag der KPD
Auf der programmatisch-strategischen Ebene war man sich beim Gründungsparteitag an der Jahreswende 1918/19 einig: Eingeleitet durch Massenstreiks und vollendet durch einen Aufstand in Form eines Generalstreiks der Lohnarbeiter, wollte die KPD die Staatsmacht erobern, um die kapitalistische Produktionsweise durch eine sozialistische Planwirtschaft zu ersetzen. Der Zweck der Produktions-weise sollte nicht länger die Profitmacherei der Kapitalisten sein, sondern die Bedürfnisbefriedigung der Individuen werden.
Dagegen war auf der Ebene der Taktik die anarcho-syndikalistische Strömung dominierend, sodass zum Beispiel die Teilnahme der KPD an den Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung abgelehnt wurde. Die marxistische Minderheitsströmung versuchte vergeblich, die Parteitagsdelegierten davon zu überzeugen, dass das bürgerliche Parlament als Tribüne des Klassenkampfes genutzt werden müsse, um die bislang schwache „geistige Revolutionierung der Massen“ zu vertiefen.
Die Missachtung der Taktik durch die Anarcho-Syndikalisten verun-möglichte eine starke Verankerung der KPD in der Arbeiterklasse, weil die Partei sich selbst isolierte. Dieses Problem soll nun in den Blick genommen werden im Unterpunkt …
2.1 Die fehlende Elastizität in taktischen Fragen
Weil die anarcho-syndikalistische Mehrheitsströmung das mangelnde revolutionäre Bewusstsein der Arbeiterklasse ignorierte, hielt man taktische Überlegungen für überflüssig. Wahlbeteiligung zwecks Systemkritik und oppositionelle Aufklärungsarbeit in den Gewerk-schaften seien Kraftvergeudung, da die KPD innerhalb kurzer Zeit die Macht erobern könne.
Die fehlende Elastizität in taktischen Fragen, die der revolutionären Ungeduld – so Rosa Luxemburg – geschuldet war, bestimmte die Politik der KPD bis zu deren zweitem Parteitag im Oktober 1919. Zunächst boykottierte die neue Partei die Wahlen zur verfassungs-gebenden Nationalversammlung, die am 19. Januar 1919 statt-fanden. Im April 1919 kam es dann zum Boykott des 2. Reichsräte-kongresses. In beiden Fällen nahm sich die KPD die Möglichkeit, ihre revolutionären antikapitalistischen Vorstellungen und Ziele zu propa-gieren und dadurch ihren Masseneinfluss zu erweitern.
[Fußnote 3]
Wegen ihrer unelastischen Taktik war die KPD vor ihrem 2. Parteitag ohne großen Anhang in der rebellischen Arbeiterklasse, was der neue Parteivorsitzende Paul Levi grundlegend ändern wollte. Hiervon handelt der Unterpunkt …
2.2 Die Abspaltung der Anarcho-Syndikalisten
Paul Levi, der nach der Ermordung von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Leo Jogisches den Vorsitz der KPD im März 1919 übernommen hatte, entfachte eine erneute Diskussion über die taktischen Fragen. Dabei ging es Levi darum, die Anarcho-Syndi-kalisten aus der Partei zu drängen, um so die Vereinigung mit dem revolutionären linken Flügel der USPD zu ermöglichen.
Aus diesem Grund legte die Levi-Zentrale dem 2. Parteitag der KPD im Oktober 1919 „Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktik“ vor, mittels derer die taktischen Entscheidungen des 1. Par-teitages bezüglich der bürgerlichen Parlamentswahlen und der sozial-demokratischen Gewerkschaften revidiert werden sollten. Begründet wurde die geforderte neue taktische Orientierung der KPD wie folgt:
„In allen Stadien der Revolution, die der Machtergreifung des Proleta-riats vorangehen, ist die Revolution ein politischer Kampf der Prole-tariermassen um die politische Macht. Dieser Kampf wird mit allen politischen und wirtschaftlichen Mitteln geführt. Die K.P.D. ist sich bewusst, dass dieser Kampf nur mit den größten politischen Mitteln (Massenstreik, Massendemonstrationen, Aufstand) zum siegreichen Ende gebracht werden kann. Dabei kann die K.P.D. auf kein politi-sches Mittel verzichten, das der Vorbereitung dieser großen Kämpfe dient.“ Dafür müsse die Partei als „Vorhut der Arbeiterklasse“ zentra-listisch aufgebaut sein, weshalb sie den syndikalistischen Födera-lismus verwerfe. [Fußnote 4]
Für die neue Taktik und die zentralistische Organisationsform stimm-ten letztlich 31 Delegierte, dagegen waren 18 Delegierte. Daraufhin wurden die unterlegenen anarcho-syndikalistischen Delegierten von den weiteren Verhandlungen des Parteitages ausgeschlossen. Infolge-dessen gründeten die Anarcho-Syndikalisten im April 1920 die Kom-munistische Arbeiter-Partei Deutschlands (KAPD). [Fußnote 5]
Aufgrund der Abspaltung ging die Mitgliederzahl der KPD zwar von ungefähr 107 000 auf rund 50 000 zurück. Aber die neue, elastische Taktik der KPD führte dazu, dass sie an den Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 teilnahm. Nimmt man die kommunistischen Stimmen als Gradmesser des Klassenbewusstseins der Proletariermassen, dann zeigen die 441 793 (= 1,7 Prozent) KPD-Stimmen die geringe Veranke-rung der Partei in der Arbeiterklasse. – Das sollte sich allerdings sehr bald ändern, worüber der Oberpunkt 3 des Vortrags Auskunft gibt.
3. Die Vereinigung der KPD (Spartakusbund) mit der USPD (Linke)
Zustande kam die Verschmelzung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) mit dem linken Flügel der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) aufgrund von drei Faktoren.
Erstens: Zum einen hatte sich die KPD von ihrer anarcho-syndika-listischen Strömung getrennt, wodurch eine elastische Taktik möglich wurde. Infolge der neuen Elastizität in taktischen Fragen wurde im März 1920 – nach einigem Zögern der KPD-Zentrale – eine Einheits-front gebildet zwischen KPD, USPD und MSPD, die sich gegen den monarchistischen Kapp-Putsch richtete. Mittels eines Generalstreiks, an dem sich rund zwölf Millionen Arbeiter und Angestellte beteiligten, wurden die Monarchisten besiegt und die bürgerliche Republik gerettet. [Fußnote 6]
Zweitens: Zum anderen hatte in der USPD ein fundamentaler Links-ruck stattgefunden, sodass die Partei sich nun gegen den bürger-lichen Parlamentarismus und für die proletarische Räterepublik aussprach. [Fußnote 7]
Drittens: Der ausschlaggebende Faktor aber war die Entscheidung der USPD, der Kommunistischen Internationale (KI) beizutreten. — Die Rolle der KI bei der Vereinigung von KPD und USPD ist Gegenstand des Unterpunktes …
3.1 Die Rolle der Kommunistischen Internationale (KI)
Ab dem Sommer 1919 war klar, dass der revolutionäre linke Flügel der USPD der Kommunistischen Internationale (KI) beitreten wollte, die im März 1919 in Moskau gegründet worden war, und zwar unter der Leitung Lenins. Dass die sozialistische Revolution in Deutschland durch die Etablierung einer bürgerlichen Republik gescheitert war, warf die Frage auf, wie man durch internationalen Zusammenschluss eine bessere Koordination revolutionärer Erhebungen erreichen könne. Da die Bolschewiki unter Lenins Führung die siegreiche Oktober-Revolution in Russland vorzuweisen hatten, gab es in der USPD einen „Drang der Parteibasis nach Moskau“. [Fußnote 8]
Als dann die Beitrittsverhandlungen auf dem II. Weltkongress der KI im Sommer 1920 begannen, hatte das Exekutivkomitee der Kommu-nistischen Internationale bereits den Entschluss gefasst, die reformis-tischen „Kautskyaner“ der USPD nicht in die KI aufzunehmen. Denn sie zögen „die Bewegung zurück in den Sumpf“ der sozialdemokrati-schen II. Internationale. Entsprechend wurde mit der USPD-Delega-tion verhandelt, wobei es um „21 Bedingungen“ für den Beitritt zur KI ging. Beitreten konnten nur Parteien, die mit den „Reformisten aller Schattierungen“ und deren kautskyanischem Gedankengut gebro-chen hatten: Ohne den Bruch mit dem Nur-Parlamentarismus sei eine „konsequente kommunistische Politik nicht möglich“. [Fußnote 9]
Auf dem Parteitag der USPD im Oktober 1920 stimmten 212 Dele-gierte für den Anschluss an die KI, 147 Delegierte dagegen. Damit hatte sich der revolutionäre linke Flügel der Massenpartei durch-gesetzt, der für die Verschmelzung mit der KPD (Spartakusbund) in einer kommunistischen Partei als Sektion der KI plädierte.
Dass die USPD – im Gegensatz zur KPD – stark in der Arbeiterklasse verankert war, zeigt sich am Ergebnis der Reichstagswahlen im Juni 1920: 4 896 095 Wähler (= 18,8 Prozent) stimmten für die USPD. Nur etwas stärker war der staatstreue Wahlverein MSPD – wie die SPD nun hieß; sie erhielt 5 616 164 Stimmen (= 21,6 Prozent). [Fußnote 10]
Aufgrund der Stärke der USPD entstand – angeleitet durch die KI – im Dezember 1920 in Deutschland erstmals eine kommunistische Partei, die tief in der Arbeiterklasse verwurzelt war: die Vereinigte Kommu-nistische Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Interna-tionale). Um deren Gründungsparteitag geht es im nächsten und letzten Unterpunkt meines Vortrags …
3.2 Der Vereinigungsparteitag
Der Parteitag, auf dem sich die USPD (Linke) und die KPD (Spar-takusbund) zur VKPD (Sektion der Kommunistischen Internationale) vereinigten, fand vom 4. bis 7. Dezember 1920 statt. Es nahmen 485 Delegierte teil, von denen 349 von der USPD und 146 von der KPD delegiert worden waren.
Im Zentrum der Verhandlungen auf dem Parteitag stand die Frage: Welche Schritte muss die VKPD als Sektion der KI einleiten, um in Deutschland an die proletarische Revolution heranzukommen?
Der Parteivorsitzende Paul Levi legte in seinem Referat zur Weltlage dar, dass der Kapitalismus durch den Ersten Weltkrieg weltweit in eine ungeheure Krise geraten sei. Die Alternative zum verrotteten Kapitalismus sei die Organisierung der Weltrevolution. Deshalb zielte die vom Parteitag festgelegte Taktik darauf, Aktionen zum Sturz des kapitalistischen Systems durchzuführen, und zwar ansetzend an den konkreten Bedürfnissen der Massen.
Von großer Bedeutung sei in taktischer Hinsicht die oppositionelle Gewerkschaftsarbeit, die auf der Grundlage kommunistischer Fraktionen organisiert werden müsse. Auf diese Weise könne das sozialdemokratische Gedankengut, das die Massen lähme, zurück-gedrängt werden. Das war notwendig, weil die sozialdemokratische Gewerkschaftsführung dazumal auf der Grundlage des Stinnes-Legien-Abkommens gemeinsam mit den Kapitalistenverbänden eine systemstabilisierende „Arbeitsgemeinschaftspolitik“ betrieb, um soziale Reformen wie den Acht-Stunden-Tag zu erreichen.
Wie die VKPD den sozialdemokratischen Reformismus zurückdrängen wollte, steht in ihrem „Manifest“: Durch die Gründung der VKPD sei „die Vorbedingung geschaffen für den Befreiungskampf des deutschen Proletariats, für den Kampf um die Rätediktatur. Für den Kampf sagen wir, nicht für die Propaganda des Rätegedankens.“ Denn die VKPD, in der Hunderttausende organisiert sind, müsse – anders als die kleine KPD – in erster Linie durch „die Aktion“ werben. [Fußnote 11]
Die Schwerpunktverschiebung von der Propaganda zur Aktion hat ihren Grund darin, dass die VKPD mit rund 356 000 Mitgliedern eine revolutionäre Massenpartei und also ein bedeutsamer Faktor in der deutschen Politik war. „Die Kampfzeit der KPD“ war angebrochen. –- Beenden werde ich meinen Vortrag mit dem Oberpunkt …. [Fußnote 12]
4. Zwei Fragen zur kommunistischen Strategie und Taktik
Zum Schluss möchte ich zwei Fragen stellen, die unsere praxisorientierte Diskussion strukturieren könnten.
Erstens: Sind taktische Differenzen zwischen den Mitgliedern einer kommunistischen Partei ein hinreichender Spaltungsgrund?
Zweitens: Was lernt uns – um mit Walter Ulbricht zu sprechen – die Behandlung der Gewerkschaftsfrage durch die VKPD?
Das Wort habt nun ihr, verehrte Anwesende!
Das Referat wurde auf der Mitgliederversammlung der DKP Rhein-Kreis Neuss am 1. Februar 2023 vorgetragen
Fußnoten
[1] „Die U.S.P. sieht in den parlamentarischen Aktionen den Ersatz für revolutionäre Kämpfe, die K.P.D. in ihnen ein Mittel ihrer Herbeiführung.“ Das KPD-Zitat findet sich in: Bericht (1919), Seite 63.
[2] Das DKP-Zitat stammt aus: Leitantrag (2017), Seite 21. In der vom Parteitag beschlossenen Fassung des Leitantrags (2018) findet sich auf den Seiten 34 und 35 dieselbe Formulierung.
[3] Mit den taktischen Fragen „Gewerkschaftsarbeit“ und „Wahlbeteiligung“ befasst sich: Lenin (1920) auf den Seiten 417 bis 435.
[4] In: Bericht (1919) finden sich die Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktik, Parlamentarismus sowie Gewerkschaftsfrage auf den Seiten 60 bis 67; die Zitate sind zu finden auf der Seite 60 beziehungsweise 62.
[5] Über die Auseinandersetzungen auf dem 2. Parteitag der KPD (Spartakusbund) und ihre theoretischen Hintergründe informiert detailliert: Bock (1968) auf den Seiten 139 bis 152.
Die Mehrheit der Parteitagsdelegierten hielt die Trennung von der anarcho-syndikalis-tischen Minderheit vor allem deshalb für unumgänglich, weil deren „syndikalistischer Föderalismus“ unvereinbar war mit dem mehrheitlich beschlossenen demokratischen Zentralismus als Organisationsprinzip der Partei: Dass die Minderheit sich nach gründ-licher Diskussion einer taktischen Frage (Wahlbeteiligung zum Beispiel) dem Beschluss der Mehrheit unterordnet, lehnten die Anarcho-Syndikalisten beispielsweise ab.
Im Statut der DKP von 1993 heißt es auf der Seite 6 zu dieser Problematik: „Wenn trotz gründlicher Diskussion der Mitglieder keine breite Übereinstimmung erreicht wird, aber Entscheidungen politisch zwingend sind, sind Mehrheitsbeschlüsse unvermeidlich und bindend.“
[6] Über die „zwiespältige Haltung“ der KPD während des Kapp-Putsches berichtet Weber (1983) auf den Seiten 79 bis 82.
[7] Zum fundamentalen Linksruck in der USPD siehe: Wheeler (1975), Seite 162 bis 164.
[8] Wheelers Kapitel V hat die Überschrift „Der Drang der Parteibasis nach Moskau“: Wheeler (1975), Seite 132.
[9] Die „21 Bedingungen“ für die Aufnahme in die Kommunistische Internationale (KI) sind abgedruckt in: Weber (1966) auf den Seiten 55 bis 62.
[10] Die Ergebnisse der Reichstagswahlen sind entnommen aus: Chronik (1966), Seite 90. Das gilt auch für das KPD-Ergebnis, das auf der Seite 6 meines Vortrags genannt wird.
[11] Meine Ausführungen über den Vereinigungsparteitag von USPD (Linke) und KPD (Spartakusbund) basieren auf: Bericht (1920). Paul Levis Referat findet sich dort auf den Seiten 29 bis 38, die Verhandlungen über die Gewerkschaften und Betriebsräte auf den Seiten 155 bis191 und das Manifest auf den Seiten 222 bis 236.
[12] Die Mitgliederzahl der VKPD ist entnommen aus: Weber (1983), Seite 83.
Bestimmend für die Entwicklung der VKPD in ihrer „Kampfzeit“ von 1921 bis 1923 waren innerparteiliche Differenzen bezüglich der „Offensivtaktik“ und der „Einheitsfronttaktik“, siehe hierzu: ebenda, Seite 84 bis 96.
Quellen
Bericht (1919) = Bericht über den 2. Parteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund) vom 20. bis 24. Oktober 1919. Herausgegeben von der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund), ohne Ort und ohne Jahr (Reprint o. O. u. o. J.)
Bericht (1920) = Bericht über die Verhandlungen des Vereinigungsparteitages der U.S.P.D. (Linke) und der K.P.D. (Spartakusbund). Abgehalten in Berlin vom 4. bis 7. Dezember 1920. Herausgegeben von der Zentrale der Vereinigten Kommunisti-schen Partei Deutschlands, Berlin 1921 (Reprint o. O. u. o. J.)
Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Band VII, Februar 1919 – Dezember 1923, 1. Halbband, Februar 1919 – Dezem-ber 1921. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentral-komitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin (DDR) 1966
Leitantrag (2017) = Parteivorstand der DKP: Leitantrag an den 22. Parteitag der DKP, UZ-Beilage, August 2017
Lenin (1920) = W. I. Lenin: Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus, in: derselbe: Ausgewählte Werke, Band III, Berlin (DDR) 1970, Seite 389 bis 485
Weber (1966) = Hermann Weber: Die Kommunistische Internationale. Eine Dokumentation, Hannover 1966
Sekundärliteratur
Bock (1968) = Hans Manfred Bock: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 – 1923. Zur Geschichte und Soziologie der Freien Arbeiter-Union Deutsch-lands (Syndikalisten), der Allgemeinen Arbeiter-Union Deutschlands und der Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands, Meisenheim am Glan 1969
Chronik (1966) = Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik. Teil II. Von 1917 bis 1945, herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin (DDR) 1966
Weber (1983) = Hermann Weber: Kommunismus in Deutschland 1918 – 1945 (Erträge der Forschung, Band 198), Darmstadt 1983
Wheeler (1975) = Robert F. Wheeler: USPD und Internationale. Sozialistischer Internationalismus in der Zeit der Revolution, Frankfurt am Main, Köln und Wien 1975
Ein Vortrag von Franz Anger
Alle kennen die Redewendung vom „Sack Reis, der in China umgefallen ist“. Damit soll ein Ereignis von besonderer Bedeutungslosigkeit beschrieben werden. Inzwischen ist es aber angebracht, sich zu fragen, ob diese Metapher nicht einer endgültig vergangenen Zeit entstammt. China ist immer noch weit entfernt, aber trotzdem reicht ein flüchtiger Blick in die Tagespresse, um sich davon zu überzeugen, dass an der Beschäftigung mit dem bevölkerungsreichsten Land der Welt offenbar kein Weg mehr vorbeiführt.
Was sind nun die spezifischen Gründe für Kommunistinnen und Kommunisten, der VR China mehr Aufmerksamkeit zu schenken?
Der Aufstieg der Volksrepublik verändert das Weltgefüge in dem Sinne, als dass er die Vormachtstellung der USA-geführten NATO ernsthaft in Frage stellt. Die Hoffnung US-amerikanischer Strategen, nach dem Ende der Sowjetunion zur einzigen wirklichen Weltmacht mit entsprechender Führungsrolle aufzusteigen, ist ins Wanken geraten. Die Zeichen stehen vielmehr auf Entwicklung einer nicht mehr unipolaren Weltordnung, in deren Rahmen China an den USA zumindest in ökonomischer Hinsicht schon bald vorbeiziehen könnte. Dieses wachsende Gewicht befähigt China auf der weltpolitischen Bühne, den aggressiven Bestrebungen des US-Imperialismus entgegenzutreten. Die chinesische Führung tritt ein für internationale Kooperation ohne Einmischung in die innenpolitischen Verhältnisse anderer Staaten und erteilt Hegemoniegelüsten jeglicher Art eine Absage. Das macht die Volksrepublik zum Partner der Kräfte weltweit, die für die friedliche Gestaltung zwischenstaatlicher Beziehungen kämpfen.
In Westeuropa ist die Vorstellung weit verbreitet, dass Sozialismus gleichbedeutend sei mit Mangel und Ineffizienz. Es ist hier nicht der Ort, um die Ursache der ökonomischen Probleme des osteuropäischen Realsozialismus zu betrachten. Dabei kämen viele unterschiedliche Faktoren in Betracht. Unabhängig davon ist aber festzustellen, dass das genannte Pauschalurteil im Falle Chinas gänzlich fehl geht. Wir sehen zum ersten Mal eine Nation, deren wirtschaftliche Kommandohöhen der Staat beherrscht und welche die führenden kapitalistischen Nationen mit ihrer ökonomischen Dynamik das Fürchten lehrt. Die Gleichung Sozialismus = Ineffizienz geht nicht mehr auf.
Dieser Umstand bietet uns eine starke Argumentationshilfe und auch Anregungen, um über eigene Sozialismuskonzeptionen nachzudenken. Sich von Chinas Vorbild inspirieren zu lassen, darf jedoch keinesfalls bedeuten, hier ein universell anwendbares Modell zu sehen. Die chinesischen Genossinnen und Genossen sprechen nicht umsonst vom „Sozialismus chinesischer Prägung“, wohl wissend, dass das Kopieren von Modellen aus fremden, gänzlich anders geprägten Teilen der Welt nicht erfolgreich sein kann. Die Geschichte der KPCh selber bietet hier Beispiele hierfür. Mao Tse Tung hatte sich bereits während des Bürgerkrieges von der bloßen Nachahmung sowjetischer Konzepte gelöst und damit bei Teilen der Partei durchaus Argwohn hervorgerufen. Dennoch gab ihm der Erfolg in Gestalt der Proklamation der Volksrepublik 1949 recht bezüglich seines Anspruches, den Marxismus auf die chinesische Realität anzuwenden. Diese Erfahrung sollte auch heute nicht vergessen werden.
Wenig Beachtung findet die antirassistische Qualität des chinesischen Aufstiegs. Hierzulande spricht man üblicherweise von Rassismus, wenn Individuen Diskriminierung in ihrem persönlichen Alltag erfahren. Dass aber die große Masse der heute hungernden oder an Hunger sterbenden Menschen zum nicht-weißen Teil der Weltbevölkerung gehört und in Asien, Afrika und Lateinamerika konzentriert ist, bringt in Deutschland jedoch kaum jemand mit Rassismus in Verbindung. Bedenken wir nun, dass es China in den letzten 40 Jahren gelang, zwischen 700 und 800 Millionen Menschen aus dem Bereich der absoluten Armut zu holen und damit bisheriger Weltmeister in Sachen Armutsbekämpfung zu werden, so erkennen wir hier eine Emanzipationsleistung, die eine große Signalwirkung für die verelendeten Massen außerhalb Europas und Nordamerikas hat.
Es gibt für uns also gute Gründe, sich mit der VR China zu beschäftigen. Hierbei finden wir bestimmte Problemfelder, die beim dortigen Aufbau des Sozialismus eine Rolle spielen. Drei vom ihnen sollen im Folgenden angerissen werden.
Die Gestaltung der ökonomische Verhältnisse Chinas haben im Westen für viel Irritation gesorgt. Denn dort herrschte und herrscht die Vorstellung, „Sozialismus“ bedeute eine möglichst allumfassende Verstaatlichung von Industrie, Grund und Boden. Der breite Raum, der privater unternehmerischer Tätigkeit durch die Reformen ab 1978 unter der Federführung Deng Xiaopings eingeräumt wurde, begünstigte die Einschätzung, die KPCh habe Kurs genommen auf die Restauration des Kapitalismus. Hierbei unterblieb jedoch die konkrete Analyse des Entwicklungsstandes Chinas. Aufschlussreich hätte eine Rückschau auf die von Lenin konzipierte „Neue Ökonomische Politik“ ab 1921 sein können. Lenin hatte nach den Erfahrungen mit dem vorangegangenen, von administrativem Zwang geprägten „Kriegskommunismus“ eingeschätzt, dass Russland nicht über die Voraussetzungen verfüge, um zu einem entwickelten Sozialismus direkt übergehen zu können. Eine allumfassende Verstaatlichung würde unter diesen Bedingungen nur die gleiche Verteilung von Mangel und Unterentwicklung bedeuten. Russland müsse bei in- uns ausländischen Kapitalisten quasi „in die Lehre gehen“, um sich moderne Technik und Arbeitsorganisation aneignen. Die begrenzte Zulassung privaten Kapitals sah er als Risiko, aber auch als Notwendigkeit. Denn schließlich hatte es in Russland vor der Revolution keine kapitalistische Entwicklung, die der in westlichen Ländern vergleichbar gewesen wäre, gegeben. Diese galt es nun, unter den Bedingungen proletarischer Staatsmacht nachzuholen. In seiner Schrift „Über das Genossenschaftswesen“, benannte er bestimmte Bedingungen: „…die Verfügungsgewalt des Staates über alle großen Produktionsmittel, die Staatsmacht in den Händen des Proletariats, das Bündnis des Proletariats mit den vielen Millionen Klein- Zwergbauern, die Sicherung der Führerstellung dieses Proletariats gegenüber den Bauern…“. Zu diesen Bedingungen erklärte er: „Das ist noch nicht die Errichtung der sozialistischen Gesellschaft, aber es ist alles, was zu ihrer Erreichung hinreichen und notwendig ist.“
Ganz ähnlich äußerte sich Mao Tse Tung in seiner Schrift „Über die Neue Demokratie“ 1940: „Die staatliche Wirtschaft einer vom Proletariat geleiteten neudemokratischen Republik trägt sozialistischen Charakter, sie ist die führende Kraft der gesamten Volkswirtschaft, doch wird diese Republik das übrige kapitalistische Privateigentum nicht beschlagnahmen, und sie wird auch die Entwicklung der kapitalistischen Produktion nicht untersagen, soweit diese nicht die Lebenshaltung der Nation kontrolliert…“ Bekanntlich wurde diese Orientierung in China im Laufe der Fünfzigerjahre aufgegeben zugunsten eines ultralinken, voluntaristischen Kurses. Im Zeichen des sogenannten „Großen Sprungs nach vorn“ sollten die modernsten kapitalistischen Nationen praktisch voraussetzungslos und nur auf die eigene Kraft gestützt in wenigen Jahren eingeholt werden. Zu diesem Zweck wurde eine radikale Kollektivierung durchgesetzt. In diesem Zuge entstanden Volkskommunen, in deren Rahmen jedem Privateigentum eine scharfe Absage erteilt wurden. In der Partei wurde Funktionäre zum Feind erklärt, die man mit dem Etikett brandmarkte „Machthaber, die den kapitalistischen Weg gehen“. Die Ergebnisse dieses versuchten Gewaltmarsches zum Sozialismus waren verheerend. Enorme Hungersnöte warfen das Land in seiner Entwicklung zurück. Auch die sich anschließende Kulturrevolution war von dem Versuch gekennzeichnet, fehlende materielle Voraussetzungen durch ideologische Massenmobilisierung zu kompensieren. Hans Heinz Holz sprach in dem Zusammenhang von dem „Versuch, die Entwicklung des Bewusstseins der Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse um mehrere Etappen vorauslaufen zu lassen“. Gerade aus marxistischer Sicht springt der Irrtum hier ins Auge.
Mit dem Aufstieg Deng Xiaopings an die Spitze der Partei setzte die Abkehr von dieser Orientierung ein. Dengs Konzept über die Nutzung der Marktmechanismen unter sozialistischer Staatsmacht ist die KPCh bis heute treu geblieben. Ebenso beherzigt werden aber auch die „Vier Grundprinzipien“, welche Deng auf einer Theoriekonferenz am 30. Marz 1979 darlegte:
Im Rückgriff auf Lenin wird deutlich, dass der Weg der KPCh keinen Bruch mit den Klassikern des Marxismus-Leninismus darstellt. Viel wichtiger ist aber, dass der Erfolg diesen Weg bestätigt. Im Zeichen dieser Linie wurden die bereits genannten Erfolge in der Armutsbekämpfung möglich. Mao hatte gesagt, dass den Kapitalisten nicht gestatten darf, die Lebenshaltung der Nation zu kontrollieren. Und wenn man heutige Leitmedien der westlichen Welt zu Rate zieht, kann man dort lesen, wie darüber geklagt wird, dass genau dies in China nicht möglich ist. Dennoch ist klar, dass das Privatkapital in China seine eigenen Interessen verfolgt und diese keineswegs identisch mit der sozialistischen Orientierung sind. Ob die Partei Herr über die in diesem Zusammenhang entstehenden Begehrlichkeiten bleibt, ist eine offene Frage. Bislang scheint sie für diese Auseinandersetzung jedoch gut gerüstet.
Eine weitere Frage ist, wie es unter den spezifischen Bedingungen der Volksrepublik China gelingen kann, ein angemessenes Modell von Demokratie zu entwickeln. Der erste Artikel der chinesischen Verfassung lautet: „Die Volksrepublik China ist ein sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht.“ Liest man diesen Satz aus der Sicht eines westlich geprägten bürgerliche Demokraten, so erscheint er als eine schwer zu überbietender Verrücktheit. Wie kann es eine demokratische Diktatur geben? Um das zu verstehen, muss man das Feld simpler Eindeutigkeiten verlassen und sich dem Denken in Widersprüchen öffnen, das in China durchaus Tradition hat. Zunächst wäre zu klären, was unter Volk verstanden wird. Antwort gibt die chinesische Nationalflagge. Die zeigt neben dem einen großen Stern vier kleinere. Diese symbolisieren die das Volk bildenden vier revolutionären Klassen: Arbeiter, Bauern, Kleinbürger und nationale Bourgeoisie. Letztere ist eine Besonderheit, die sich aus dem antikolonialen Kampf Chinas erklärt. Neben der mit den ausländischen Imperialisten verbündeten Kompradorenbourgeoisie gab es auch bürgerliche Kräfte, die bereit waren, sich dem Kampf für nationale Souveränität anzuschließen. Deren Haltung wurde bei der Gestaltung der Flagge gewürdigt.
Die Volksrepublik verstand und versteht sich also als ein Klassenbündnis. Vorrangiges Ziel dieses Bündnisses bestand darin, das Land aus den barbarischen Kolonialverhältnissen herauszuführen. Es versteht sich von selbst, dass die inneren und äußeren Profiteure dieser Verhältnisse dies nicht zu akzeptieren gewillt waren. Der Bürgerkrieg hatte die Unverträglichkeit dieser beiden Positionen zum Ausdruck gebracht. Und aus der Geschichte ist hinlänglich bekannt, dass auch nach einem gewonnenen Bürgerkrieg und der Proklamation eines Arbeiter– und Bauernstaates der Klassenfeind die Hände nicht in den Schoß legt. Ein Staat wie die VR China ist bei Strafe des Untergangs gezwungen, diesem Umstand Rechnung zu tragen. Neben die Sphäre demokratischer Willensbildung muss zwingend der Kampf um die Sicherung der eigenen Existenz treten. Und dieser ist naturgemäß auch repressiv. Hier ist nicht der Platz für antiautoritäre und libertäre Fantasien. In seiner Arbeit „Über die demokratische Diktatur des Volkes“ spricht Mao Klartext: „Ihr seid diktatorisch! Liebenswerte Herren, ihr habt recht, gerade das sind wir. Alle Erfahrungen, die das chinesische Volk jahrzehntelang gesammelt hat, lehren uns, die demokratische Diktatur des Volkes durchzusetzen – jedenfalls läuft beides auf ein und dasselbe hinaus -, das heißt, den Reaktionären das Recht auf Meinungsäußerung zu entziehen und nur dem Volk dieses Recht vorzubehalten.“ In seiner spätere Schrift „Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volke“ beschäftigte Mao sich mit nicht-antagonistischen Widersprüchen, d. h. mit Auseinandersetzungen im Volk auf der Basis grundsätzlich gemeinsamer Interessen und im Gegensatz dazu mit antagonistischen Widersprüchen, d. h. mit solchen, in denen der Kampf zwischen Volk und feindlichen Kräften zum Ausdruck kommt. Mit dieser Differenzierung ist freilich kein unfehlbarer Maßstab gegeben, das eine vom anderen zu unterscheiden. Gerade während der Kulturrevolution mussten verdiente Partei- und Armeeveteranen erleben, dass man in dieser Hinsicht wohl die Orientierung verloren hatte und sie mit unsinnigen Vorwürfen als Konterrevolutionäre anprangerte. Die spätere Korrektur dieses Unrechts ändert nichts daran, dass die Unterscheidung zwischen demokratischer Meinungsäußerung und konterrevolutionärer Tätigkeit eine bleibende und keineswegs einfache Aufgabe ist, zumal beide Positionen auch fließend ineinander übergehen können.
In der Praxis verwirklicht sich die chinesische Demokratie im System der Volkskongresse auf lokaler, regionaler und zentraler Ebene, wobei die lokalen Kongresse direkt und die übergeordneten Körperschaften jeweils von den nächstniedrigeren gewählt werden. Wer für einen lokalen Volkskongress kandidieren will, muss von einer Partei, einer Massenorganisation oder von mehr als 10 wahlberechtigten Personen aufgestellt werden.
Eine Besonderheit Chinas ist die konsultative Demokratie. Mit der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (PKKCV) besteht ein Gremium, in dem die KPCh, die weiteren acht demokratischen Parteien, gesellschaftliche Organisationen, Religionen und Nationalitäten vertreten sind und an der Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse beratend teilnehmen.
Aber ebenso finden auch öffentliche Aussprachen zu Gesetzesvorhaben statt. Auf kommunaler Ebene wird mit basisdemokratischen Ansätzen wie dem Modell „Vier Treffen und zwei Veröffentlichungen“ experimentiert. Wenn es um örtliche Belange geht, entwickelt zunächst die Grundorganisation der KPCh des Dorfes Vorschläge. Diese werden bei einem weiteren Treffen von zwei Einwohnerkomitees diskutiert. Die dort erzielten Ergebnisse gehen wieder an die Parteimitglieder zur weiteren Debatte. Beim vierten Treffen erfolgt dann die Abstimmung durch die Vertreterinnen und Vertreter der Dorfbevölkerung.
Dieses eigene Modell von Demokratie wird von der Bevölkerung mehrheitlich positiv angenommen. Eine Studie der Washington Post aus dem Jahre 2020 ermittelte, dass 97 % der chinesischen Bevölkerung mit der Regierung zufrieden seien. Eine Untersuchung der Harvard-Universität zur gleichen Fragestellung wies für den Zeitraum von 2003 bis 2016 einen Anstieg der Zufriedenheit von 86 auf 93 % aus. Dänische Meinungsforscher stellten 2020 fest, dass 73 % der chinesischen Bevölkerung der Meinung waren. in einer Demokratie zu leben. Die entsprechenden Werte für die USA und die BRD waren 49 und 67 %.
Das dritte Problem, um das es hier gehen soll, ist das des nationalen Zusammenhaltes. China ist ein Vielvölkerstaat, in dessen Geschichte sowohl Zeiten der Einheit wie auch der Fragmentierung zu finden sind. Es ist bemerkenswert, dass der Sinologe und Direktor des China Zentrums Tübingen Helwig Schmidt-Glintzer feststellte, es sei nahezu ein Wunder, dass China heute als zusammenhängender Staat existiere. Die Einheit der Volksrepublik ist als keine Selbstverständlichkeit. In Vielvölkerstaaten stellt sich für die einzelnen Ethnien naturgemäß die Frage, ob sie im gesamtstaatlichen Verbund verbleiben oder den Weg der Selbstständigkeit beschreiten wollen. Der chinesische Staat ist also gefragt, allen Nationalitäten attraktive Existenz- und Entwicklungsangebote zu machen. Gleichzeitig muss den kulturellen und religiösen Besonderheiten der einzelnen Volksgruppen Rechnung getragen werden.
Wenn die KPCh nun versucht, den Sozialismus chinesischer Prägung als gemeinsames Haus aller in den Landesgrenzen lebenden Völker zu entwickeln, so kann sie dies aber keineswegs ungestört tun. Den strategischen Köpfen der NATO ist in guter Erinnerung, mit welcher Wirkung die nationalistische bzw. separatistische Karte im Kampf gegen die UdSSR und gegen Jugoslawien gespielt werden konnte. Ihr Verhältnis zu China ist geprägt von einer permanenten Suche nach ethnischen und religiösen Differenzen in diesem Land, die sich möglicherweise zu existenzbedrohenden Rissen ausdehnen lassen. So wird schon seit geraumer Zeit die entmachtete und teilweise ins Exil getriebene buddhistische Geistlichkeit Tibets massiv unterstützt. Bis zum Beginn der demokratischen Reformen in Tibet im Jahre 1959 hatten der Dalai Lama und der von ihm geführte Klerus eines mittelalterlich geprägten Theokratie vorgestanden und über eine Bevölkerung geherrscht, die zum allergrößten Teil aus Sklaven und Leibeigenen bestand. Die chinesische Führung hatte diesen barbarischen Zuständen ein Ende bereitet. Dafür wird sie bis heute im Westen angeklagt, sich an der Freiheit Tibets zu versündigen, dessen Zugehörigkeit zu China in ahistorischer Weise bestritten wird. Eine parasitäre Priesterkaste wird zum legitimen Repräsentanten der tibetischen Bevölkerung aufgewertet. Dies ist begleitet von einem ideologischen Kreuzzug im Namen der Menschenrechte. In Westeuropa fällt diese Propaganda vor allem im grün-alternativen Milieu auf fruchtbaren Boden. Es ist ihr gelungen, in dieser Frage eine gewisse geistige Hegemonie zu erringen. Die Erzählung, dass es sich beim Dalai Lama um einen spirituellen Menschenfreund und Pazifisten handele, welcher der kommunistischen Diktatur gewaltlos die Stirn biete, wird auch in Deutschland nur wenig bezweifelt. Kaum jemand fragt, wie dieses Bild beispielsweise zum Strafsystem unter der Lama-Herrschaft passt, das von grausamen Folterungen und Verstümmelungen geprägt war. Den Exponenten einer solchen Ordnung als Vorkämpfer der Menschrechte zu feiern, ist grotesk und trotzdem nicht ohne öffentliche Wirkung.
Seine Entsprechung findet dieses Vorgehen in der Förderung islamistischer Terroristen in der Provinz Xinjiang. Uigurische Separatisten streben hier die Errichtung eines unabhängigen Gottesstaates an und haben diesem Vorhaben mit zahlreichen verheerenden Terroranschlägen bereits Nachdruck verliehen. Von diesen ist im Westen allerdings weinig oder gar nicht die Rede. Stattdessen wird die chinesische Regierung des Völkermordes an den Uiguren in ihrer Gesamtheit beschuldigt, weil sie den Bestrebungen der Islamisten energisch entgegentritt.
Für die Regierung der Volksrepublik ist der Kampf gegen religiös-reaktionäre Kräfte in Tibet und Xinjiang von existentieller Bedeutung. Repressive Mittel kommen hier ebenso zum Einsatz wie Maßnahme zur wirtschaftlichen Entwicklung und Armutsbekämpfung. Aber die Bemühungen der NATO-Staaten, Spaltpilze im Körper der Volksrepublik zu züchten, werden nicht nachlassen. In diesem Zusammenhang ist auch die westliche Einmischung in Hong Kong zu sehen und die Infragestellung des Ein-China-Prinzips im Hinblick auf Taiwan. Der Bestand Chinas als sozialistisch orientierte Großmacht hängt davon ab, diese Zersetzungsversuche erfolgreich abzuwehren. Erforderlich ist dazu die Entwicklung eines ausreichenden militärischen Potentials. Dass entsprechende Anstrengungen in dieser Richtung in völliger Verkennung ihres defensiven Charakters westlicherseits als Aggression gebrandmarkt werden, ist wenig verwunderlich.
Neben der Entwicklung seines wirtschaftlichen und militärischen Potentials bringt sich China aber auch zunehmend in internationale Diskussionen wie die um den Begriff der Menschenrechte ein. Es geht darum, ihre Interpretation als einen Katalog individuell basierter Rechte, der in allen Ländern der Erde in gleicher Weise in zur Anwendung zu kommen habe, in Frage zu stellen und die Aufmerksamkeit auf kollektiv-soziale Rechte zu lenken, die in Westeuropa und Nordamerika gerne vergessen werden. Xi Jinping hat darauf hingewiesen, dass Menschenrechte in unterschiedlichen Ländern mit ungleichem Entwicklungsniveau auch verschieden akzentuiert werden müssen. Er hob hervor, dass für Entwicklungsländer das wichtigste Menschenrecht im Recht auf Leben und Entwicklung bestünde. Es ist gut möglich, dass derartige Überlegungen auch in anderen Ländern mit kolonialer Vergangenheit Anklang finden und die westliche Meinungsführerschaft auf diesem Gebiet ins Wanken bringen. Die Volksrepublik könnte so neue Verbündete und Sympathien gewinnen und ihre Position in der internationalen Systemauseinandersetzung stärken.
Autor:
Erik Höhne
Man solle zwar keine Freunde oder Verwandten besuchen, aber dringend die Wohnung verlassen, um zur Arbeit zu gehen. Verkündet werden diese sich widersprechenden Verhaltensregeln, an die man sich während der Coronapandemie zu halten habe, von Hans-Jürgen Petrauschke, dem christdemokratischen Landrat des Rhein-Kreises Neuss, und zwar in der Online-Ausgabe des Anzeigenblattes „Stadt-Kurier“ vom 28. Mai 2020.
„Profit vor Mensch“ weiterlesen„Ich trage diese Maske nicht freiwillig, ich werde dazu gezwungen.“ T‑Shirts mit diesem Aufdruck, die bei der „Hygienedemo“ auf dem Cannstatter Wasen am 16. Mai häufig zu sehen sind, signalisieren wutbürgerliches Unbehagen. Die Wut der aufmüpfigen Staatsbürger richtet sich gegen die Merkel-Regierung, die „reine Panikmache“ betreibe, wodurch sie eine „Corona-Hysterie“ entfacht habe. Da das Corona-Virus „nicht so schlimm“ sei, müsse die Regierung der Frau Merkel einen schlimmen Plan verfolgen. Sie wolle „uns für dumm verkaufen“; hinter ihren Corona-Maßnahmen stecke „vielleicht etwas anderes“. (ZEIT-ONLINE, 17. 5. 2020)
„„Hygienedemos“ und Verschwörungsmythen“ weiterlesenObgleich Körperkontakt wegen des Wütens der Corona-Pandemie strikt vermieden werden soll, erlaubte die Staatsgewalt unlängst die Wiederaufnahme des körperkontaktreichen Spielbetriebes der 1. sowie 2. Fußballbundesliga, und zwar ab Mitte Mai in Form von zuschauerlosen Geisterspielen. Dieser Widerspruch, der sogar einigen Fans der Düsseldorfer Fortuna aufgefallen sein soll, hat seinen Grund im Geldvermehrungsimperativ, der die marktwirtschaftliche Produktionsweise antreibt.
Um die Vermehrung des investierten Unternehmergeldes (Geld-Ware-Geld“)* als Zweck des Marktwirtschaftssystems zu befördern, greift der Staatsapparat unter dem Druck der Pandemie als ideeller Gesamtkapitalist in die Volkswirtschaft ein, damit die « Volksgesundheit » durch Schutzmaßnahmen gewährleistet wird. Verhindert werden soll auf diese Weise der Zusammenbruch des Systems, den Krankheit und Tod zu vieler Arbeitskräfte verursachen würden.
„Profifußball und Moralphilosophie in Zeiten der Pandemie“ weiterlesen