In explo­si­ver Lage

Rhein­me­tall plant Waf­fen­pro­duk­ti­on im Stadt­zen­trum von Neuss

Kei­ne 500 Meter von der dicht besie­del­ten Innen­stadt ent­fernt, direkt neben einem klei­nen Park mit Spiel­platz und Sport­an­la­gen, soll im nord­rhein-west­fä­li­schen Neuss bald die Pro­duk­ti­on von Rüs­tungs­gü­tern begin­nen. Der Kriegs­kon­zern Rhein­me­tall will das Nie­der­rhein­werk, das im Jahr 2014 von der zivi­len Rhein­me­tall-Toch­ter Pier­burg am Ran­de des Neus­ser Hafens errich­tet wur­de, in die Spar­te „Wea­pon and Ammu­ni­ti­on“ über­füh­ren. Aus dem Auto­mo­bil­zu­lie­fe­rer wird eine Waffenfabrik.

Was man davon zu hal­ten hat, erläu­ter­te die Lokal­pres­se. „Frü­her war die Neus­ser Indus­trie mal für Schrau­ben, Sau­er­kraut und Scho­ko­la­de berühmt. Jetzt könn­ten Waf­fen ein neu­es Aus­hän­ge­schild der Qui­ri­nus­stadt wer­den“, lei­te­te Rai­ner Leurs, Redak­ti­ons­lei­ter der „Neuß-Gre­ven­broi­cher Zei­tung“ (NGZ), sei­nen Kom­men­tar mit dem Titel: „Eine Waf­fen­fa­brik mit­ten in Neuss? Ja bit­te!“ ein. Schließ­lich siche­re das Arbeits­plät­ze und schre­cke den Rus­sen ab – ein dop­pel­ter Gewinn für den Standort.

Der Neus­ser Hafen: Auf der lin­ken Sei­te des Hafen­be­ckens Rhein­me­tall. Rechts davon beginnt die Innen­stadt. (Foto: © Anil Öztas)

Auch gro­ße Tei­le der Neus­ser Lokal­po­li­tik stan­den kurz nach Bekannt­wer­den der Plä­ne Gewehr bei Fuß. Die ört­li­che CDU merk­te an, dass man sich im Zuge der „Zei­ten­wen­de“ nicht weg­du­cken dür­fe. Der SPD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Dani­el Rin­kert begrüß­te die Umstel­lung der Pro­duk­ti­on sogar. Es sei „eine wich­ti­ge Maß­nah­me, um die Wett­be­werbs­fä­hig­keit von Rhein­me­tall lang­fris­tig zu sichern“, freu­te sich Rin­kert. Lobend erwähn­te er, dass Gesprä­che mit dem Betriebs­rat statt­ge­fun­den hät­ten: „Es ist ent­schei­dend, dass die Umstel­lung in enger Abstim­mung mit den Beschäf­tig­ten und dem Betriebs­rat erfolgt, um eine Lösung zu fin­den, die alle Sei­ten berücksichtigt.“

Wie viel Wert die Rhein­me­tall-Geschäfts­füh­rung auf ihre Beschäf­tig­ten legt, zeigt ein Blick in die jün­ge­re Geschich­te des Neus­ser Nie­der­rhein­wer­kes. Vor der Errich­tung der Fabrik am Hafen hat­te Pier­burg damit gedroht, sei­ne Pro­duk­ti­on von den Stand­or­ten in Neuss und Net­te­tal nach Ost­eu­ro­pa zu ver­le­gen. Die IG Metall ver­han­del­te mit dem Rücken zur Wand und ließ sich im Jahr 2012 auf eine Ver­ein­ba­rung ein, die es in sich hat­te. Die bei­den Stand­or­te wur­den in Neuss zusam­men­ge­legt und ein gro­ßer Teil der Beschäf­tig­ten über­nom­men. Um die Finan­zie­rung des neu­en Wer­kes zu unter­stüt­zen, ver­zich­te­ten die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen auf ihr Urlaubs­geld und schrie­ben damit fort, was bei Pier­burg schon seit dem Jahr 2007 geüb­te Pra­xis war. Die Gewerk­schaft wil­lig­te außer­dem ein, dass erkämpf­te Tarif­er­hö­hun­gen im Betrieb erst nach mona­te­lan­gen Ver­zö­ge­run­gen aus­ge­zahlt wur­den. Am Ende stand das neue Werk. Die Zukunft der ört­li­chen Auto­mo­bil­in­dus­trie schien gesi­chert, bei Werks­füh­run­gen wur­de der zivi­le Cha­rak­ter der Pro­duk­ti­on betont. Was damals noch kei­ne Rol­le spiel­te, aber inzwi­schen bekannt gewor­den ist: Die neu­en Fabrik­hal­len waren in wei­ser Vor­aus­sicht mit über­di­men­sio­nier­ten Toren aus­ge­stat­tet wor­den, um das Werk künf­tig auf mili­tä­ri­sche Pro­duk­ti­on umstel­len zu können.

Heu­te ver­spricht Rhein­me­tall, dass die Waf­fen­pro­duk­ti­on zum Erhalt von Arbeits­plät­zen bei­tra­gen wer­de. Aller­dings, so berich­te­te die NGZ, „könn­te der Tag kom­men, an dem die­se (Beschäf­tig­ten) sich ent­schei­den müs­sen, ob sie den Weg mit­ge­hen – oder nicht“. Eine ers­te Kol­le­gin habe kei­ne Ver­trags­ver­län­ge­rung mehr erhal­ten, weil sie auf Nach­fra­ge nicht in einem Rüs­tungs­be­trieb arbei­ten woll­te, erfuhr die Zei­tung aus Angestelltenkreisen.

Unter­des­sen lau­fen die Spe­ku­la­tio­nen, was in der Waf­fen­fa­brik genau pro­du­ziert wer­den soll. Die Geschäfts­lei­tung betont, dass noch kei­ne end­gül­ti­ge Ent­schei­dung gefal­len sei. Mit Explo­siv­stof­fen wol­le man jedoch nicht han­tie­ren – so heißt es. Die Neus­ser Stadt­ver­wal­tung gibt sich betont gelas­sen: Man bewer­te die Pro­duk­ti­ons­um­stel­lung „weder poli­tisch noch mora­lisch“, erklär­te der städ­ti­sche Pres­se­spre­cher in der NGZ.

Ob sich Pro­tes­te gegen die geplan­te Kriegs­pro­duk­ti­on auf die­se Wei­se her­un­ter­ko­chen las­sen, bleibt abzu­war­ten. Im Neus­ser Stadt­rat for­miert sich ers­ter Wider­stand gegen das Vor­ha­ben. Am Don­ners­tag die­ser Woche fin­det auf Antrag der Rats­frak­ti­on „Neuss JETZT!“ eine Son­der­sit­zung des Haupt­aus­schus­ses statt. Ein­zi­ger Tages­ord­nungs­punkt: Rhein­me­tall. „Nicht nur, dass Deutsch­land wie­der Waf­fen in Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­te expor­tiert, wird ein­fach so hin­ge­nom­men, jetzt soll auch noch eine Waf­fen­pro­duk­ti­on im Neus­ser Hafen unter­stützt wer­den, das kann ich nach zwei Welt­krie­gen nicht nach­voll­zie­hen“, erläu­tert der Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de Micha­el Klin­kicht. Die Frak­ti­on wirft außer­dem die Fra­ge auf, ob die Pro­duk­ti­ons­um­stel­lung über­haupt legal sei. Schließ­lich kön­ne auf die­se Wei­se ein soge­nann­ter „Stör­fall­be­trieb“ im Stadt­zen­trum ent­ste­hen – mit den ent­spre­chen­den Gefah­ren für das Umfeld.

Auch der Stadt­ver­ord­ne­te Vin­cent Czies­la (DKP), Vor­sit­zen­der der Frak­ti­on „Die Partei“/Linke, will die Waf­fen­pro­duk­ti­on in sei­ner Stadt nicht dul­den. „Der aktu­el­le Rüs­tungs­wahn­sinn drängt uns an den Rand eines gro­ßen Krie­ges“, so Czies­la. „Die­se Poli­tik plün­dert Kom­mu­nen und Bevöl­ke­rung glei­cher­ma­ßen aus. Es gibt unzäh­li­ge Grün­de, sich gegen die auf­zie­hen­de Kriegs­wirt­schaft zu weh­ren.“ Das gel­te auch für die Beschäf­tig­ten bei Pier­burg. „Rhein­me­tall hat die Mit­ar­bei­ter aus­ge­nom­men, um das Werk als zivi­le Pro­duk­ti­ons­stät­te zu errich­ten. Nie­mand soll­te Rhein­me­tall glau­ben, wenn die Geschäfts­füh­rung heu­te erzählt, dass die auf Mil­li­ar­den­kre­di­ten basie­ren­de Waf­fen­pro­duk­ti­on nach­hal­tig Arbeits­plät­ze siche­re. Es ist ein Geschäfts­feld mit kla­rem Ablauf­da­tum und furcht­ba­ren Konsequenzen.“

 UZ vom 14. März 2025