Wer ver­letzt hier wen?

Prü­geln­de Poli­zei setzt Abbau demo­kra­ti­scher Rech­te durch

Man mag es für Dumm­heit hal­ten oder für einen Aus­druck man­geln­der poli­ti­scher Bil­dung – bei­des gin­ge an der Sache vor­bei. Denn als Poli­zei­kräf­te die dies­jäh­ri­ge Luxem­burg-Lieb­knecht-Demons­tra­ti­on in Ber­lin stopp­ten, um ein Anti­kriegs­ban­ner der SDAJ zu ent­wen­den und meh­re­re jun­ge Demons­trie­ren­de in Gewahr­sam zu neh­men, war den Beam­ten das Den­ken längst abge­nom­men wor­den. Ihnen konn­te schlicht egal sein, dass der auf dem Ban­ner abge­bil­de­te rote Keil rein gar nichts mit der Hamas zu tun hat­te, son­dern auf die Sym­bo­lik der Bol­sche­wi­ki, geprägt durch den Künst­ler El Lis­sitz­ky, zurückging.

Seit Jah­ren gibt es Angrif­fe auf die LL-Demons­tra­ti­on und seit Jah­ren kön­nen sich die betei­lig­ten Hun­dert­schafts­füh­rer sicher sein, dass jede noch so absur­de, noch so fei­ge, noch so bru­ta­le Poli­zei­ak­ti­on zahl­rei­che Unter­stüt­zer in Poli­tik und Medi­en fin­det. So auch in die­sem Jahr: 31 Men­schen wur­den fest­ge­nom­men, 34 Straf­an­zei­gen erstat­tet und zahl­rei­che Demons­tran­ten ver­letzt. Anstatt dar­über zu ver­han­deln, wie­so das Tra­gen von anti­mi­li­ta­ris­ti­schen Sym­bo­len oder das Aus­ru­fen von paläs­ti­na­so­li­da­ri­schen Sprech­chö­ren in die­sem Land nicht mehr erlaubt ist, berich­te­ten die Leit­me­di­en über 24 angeb­lich ver­letz­te Poli­zis­ten, von denen 23 ein­fach wei­ter­ar­bei­te­ten. Ben­ja­min Jen­dro, Spre­cher der Poli­zei­ge­werk­schaft GdP Ber­lin, enga­gier­te sich als Stich­wort­ge­ber für eine neue Ver­bots­de­bat­te. Er for­der­te auf X eine Über­ar­bei­tung des Ver­samm­lungs­frei­heits­ge­set­zes, weil „Extre­mis­mus jeg­li­cher Cou­leur unser demo­kra­ti­sches Leben gefähr­den will“.

0301 3 ausg - Wer verletzt hier wen? - Abbau demokratischer Rechte, LL2025, Luxemburg-Liebknecht-Demonstration 2025, Meinungsfreiheit, Polizeigewalt, reaktionär-militaristischer Staatsumbau, Versammlungsrecht - Politik

Wie die­ses „demo­kra­ti­sche Leben“ aus­se­hen soll, sag­te er nicht. Dar­um, poli­ti­sche Fra­gen gleich­be­rech­tigt mit­ein­an­der zu dis­ku­tie­ren, geht es jeden­falls nicht. Das erleb­ten Ange­stell­te und Stu­die­ren­de der Ber­li­ner Ali­ce-Salo­mon-Hoch­schu­le. Dort war am 6. Janu­ar das Audi­max besetzt wor­den, um gegen den Völ­ker­mord in Gaza zu pro­tes­tie­ren. Die Hoch­schul­lei­tung ging zwar nicht auf die inhalt­li­chen For­de­run­gen ein, dul­de­te die Akti­on jedoch, traf Ver­ein­ba­run­gen mit den Beset­zern, stieß einen Dis­kus­si­ons­pro­zess an. Das ging gut, bis plötz­lich die Poli­zei vor der Tür stand. Rek­to­rin Bet­ti­na Völ­ter ver­wies auf ihr Haus­recht. „Wir erle­ben es als Bedro­hung, dass Sie vor­ne am Ein­gang ste­hen.“ Der Wunsch, ohne poli­zei­li­che Über­wa­chung und Angst vor Erstür­mung oder Ver­haf­tung dis­ku­tie­ren zu kön­nen, brach­te die Rek­to­rin ins Kreuz­feu­er der Kri­tik. GdP-Spre­cher Jen­dro erklär­te, es sei „nicht das ers­te Mal, dass aus die­ser wis­sen­schaft­li­chen Ein­rich­tung Poli­zei­hass offen­bart wird“. Bei „Gefahr im Ver­zug“ gel­te außer­dem das Haus­recht nicht mehr.

Dass inzwi­schen immer hem­mungs­lo­ser zuge­schla­gen wird, zeig­te auch der Poli­zei­ein­satz gegen die Anti-AfD-Pro­tes­te in Rie­sa. Poli­zis­ten schlu­gen den Leip­zi­ger Land­tags­ab­ge­ord­ne­ten Nam Duy Nguy­en („Die Lin­ke“) bewusst­los, obwohl er sich dees­ka­lie­rend ver­hielt und auf sei­nen Sta­tus als par­la­men­ta­ri­scher Beob­ach­ter auf­merk­sam mach­te. Es sei „kon­tra­pro­duk­tiv (…) bereits von unrecht­mä­ßi­ger Poli­zei­ge­walt zu spre­chen“, erläu­ter­te dar­auf­hin die GdP Nie­der­sach­sen. Schließ­lich dür­fen par­la­men­ta­ri­sche Beob­ach­ter zwar an Demons­tra­tio­nen teil­neh­men, aber „das Infra­ge­stel­len poli­zei­li­cher Maß­nah­men vor Ort“ gehö­re nicht zu ihren Aufgaben.

In Zei­ten einer gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Mobil­ma­chung sto­ßen Wissenschafts‑, Mei­nungs- und Ver­samm­lungs­frei­heit an immer enger wer­den­de Gren­zen. Wie die Mili­ta­ri­sie­rung erfasst auch der reak­tio­nä­re Staats­um­bau nach und nach alle Lebens­be­rei­che. Inzwi­schen gera­ten nicht nur die in den Fokus, die der herr­schen­den Poli­tik wider­spre­chen. Son­dern auch die, die eine sach­li­che Dis­kus­si­on ermög­li­chen wol­len oder ande­re bei der Wahr­neh­mung ihrer Grund­rech­te unter­stüt­zen. Sich weg­zu­du­cken hilft da nicht. Soli­da­ri­tät schon.

Vin­cent Czies­la in der UZ vom 17. Janu­ar 2025