Kom­mu­nis­mus ist möglich

Vor 150 Jah­ren, am 18. März 1871, erhob sich das Volk von Paris

Der Ver­lauf des Deutsch-Fran­zö­si­schen Krie­ges hat­te im Som­mer 1870 die Unfä­hig­keit und Kor­rup­ti­on des Regimes des selbst­er­nann­ten Kai­sers Napo­le­on III. bloß­ge­legt. Am 2. Sep­tem­ber 1870 kapi­tu­lier­te der größ­te Teil des fran­zö­si­schen Hee­res nach der Schlacht bei Sedan, Napo­le­on wur­de gefan­gen­ge­nom­men. Am 4. Sep­tem­ber stürm­ten die Mas­sen in Paris das Par­la­ment, die Repu­blik wur­de aus­ge­ru­fen, eine bür­ger­li­che „Regie­rung der natio­na­len Ver­tei­di­gung“ unter Adol­phe Thiers gebil­det. Die führ­te mit eher schein­ba­rem Wider­stand den bereits ver­lo­re­nen Krieg fort, wäh­rend im Herbst bereits Thiers, der „bos­haf­te Zwerg“ (Karl Marx), in Ver­sailles mit dem preu­ßi­schen Minis­ter­prä­si­den­ten von Bis­marck verhandelte.


Der deut­sche Bela­ge­rungs­ring um Paris schloss sich am 19. Sep­tem­ber. Die Stadt hun­ger­te. Am 28. Janu­ar 1871 wur­de der Waf­fen­still­stand ver­ein­bart, am 18. Janu­ar hat­te sich der preu­ßi­sche König Wil­helm I. in Ver­sailles zum Deut­schen Kai­ser krö­nen las­sen.
Thiers› neu gebil­de­te Regie­rung demo­bi­li­sier­te den größ­ten Teil der regu­lä­ren Armee, hat­te jedoch den Ein­fluss auf die Natio­nal­gar­de ver­lo­ren – die bewaff­ne­ten Kräf­te der Haupt­stadt, 384.000 Mann. Revo­lu­tio­nä­re Ein­hei­ten der Natio­nal­gar­de bemäch­tig­ten sich Ende Febru­ar der ver­las­se­nen Kano­nen der Regu­lä­ren. Der Ver­such, am Mor­gen des 18. März die Kano­nen zurück­zu­er­obern, schei­ter­te am Wider­stand der Bevöl­ke­rung, in der Mehr­zahl der Frau­en, und an der Meu­te­rei eines regu­lä­ren Regi­ments, des­sen Ange­hö­ri­ge sich mit der Natio­nal­gar­de ver­brü­der­ten. Gene­ral Lecomte, der den ver­such­ten Hand­streich befeh­ligt hat­te, wur­de zusam­men mit dem frü­he­ren Kom­man­deur der Natio­nal­gar­de von den eige­nen Sol­da­ten erschos­sen. Das Zen­tral­ko­mi­tee der Natio­nal­gar­de pro­kla­mier­te als jetzt ein­zi­ge Auto­ri­tät der Stadt die Kom­mu­ne von Paris und setz­te Wah­len für den 26. März an.
„Die ruhm­vol­le Arbei­ter­re­vo­lu­ti­on nahm unbe­strit­ten Besitz von Paris“, schreibt Karl Marx in „Der Bür­ger­krieg in Frank­reich“. Die Kom­mu­ne errich­te­te eine Regie­rung der Arbei­ter­klas­se, sie war der Hebel zum Umsturz der poli­ti­schen Grund­la­gen der Klas­sen­herr­schaft. Das Gespenst des Kom­mu­nis­mus, das in Euro­pa umging, nahm Form und Gestalt an.
Die Frau­en und Män­ner der Kom­mu­ne zer­bra­chen den Staat, statt ihn zu über­neh­men: Statt eines ste­hen­den Hee­res bewaff­ne­ten sie das Volk, sie ent­eig­ne­ten die Werk­stät­ten und Fabri­ken und über­ga­ben sie dem Zusam­men­schluss der Werk­tä­ti­gen. Dem Volk soll­te die Bil­dung und die Kunst gehö­ren, Staat und Kir­che getrennt sein. Das Man­dat der Volks­ver­tre­ter war jeder­zeit wider­ruf­bar, sie soll­ten im Inter­es­se ihrer Wäh­ler han­deln. Frei­heit soll­te nicht sein, alle paar Jah­re wäh­len zu dür­fen, son­dern sich stets und aktiv für sei­ne Klas­sen­in­ter­es­sen ein­zu­set­zen. Ande­re Maß­nah­men soll­ten das Leben der Werk­tä­ti­gen erleich­tern: Mie­ter­lass, Strei­chung von Schul­den, Nacht­ar­beits­ver­bo­te. Die Kom­mu­nar­din­nen und Kom­mu­nar­den bewie­sen: Kom­mu­nis­mus ist mög­lich.
Das war die Kampf­an­sa­ge an die Klas­se, die ihr Pri­vat­ei­gen­tum als Grund­la­ge der Zivi­li­sa­ti­on betrach­tet. Die Bour­geoi­sie und die die Groß­grund­be­sit­zer des erst vor Kur­zem gegrün­de­ten Deut­schen Kai­ser­rei­ches und Frank­reichs, die eben noch die Söh­ne der Arbei­ter und Bau­ern gegen­ein­an­der gehetzt hat­ten, ent­deck­ten ihre gemein­sa­men Wer­te und Inter­es­sen. Das Reich ent­ließ mas­sen­haft Kriegs­ge­fan­ge­ne, um der nach Ver­sailles geflo­he­nen bür­ger­li­chen Regie­rung die Auf­stel­lung einer Exe­ku­ti­ons­ar­mee zu ermög­li­chen. In Frank­furt am Main unter­zeich­ne­ten die bei­den Mäch­te am 10. Mai den Frie­dens­ver­trag, Bis­marck sicher­te der fran­zö­si­schen Ver­hand­lungs­de­le­ga­ti­on die Unter­stüt­zung deut­scher Trup­pen bei der Nie­der­schla­gung der Auf­stän­de zu, denn inzwi­schen hat­te sich auch in ande­ren fran­zö­si­schen Städ­ten die Arbei­ter­klas­se erho­ben: in Lyon, Mar­seil­le, Rouen, Gre­no­ble, Nîmes, Le Hav­re, Gre­no­ble. Auch die Kolo­nie Alge­ri­en wur­de von einem Auf­stand erschüt­tert.
Am 21. Mai dran­gen die ers­ten Trup­pen der Ver­sailler Regie­rung in Paris ein, ihre preu­ßi­schen Kum­pa­ne rie­gel­ten die Stadt ab. Die kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re Sol­da­tes­ka haus­te unter dem Bei­fall der Bour­geoi­sie eine blu­ti­ge Woche lang, sie mor­de­te, wen sie für Anhän­ger der Kom­mu­ne hielt. Bis zum 28. Mai leis­te­te die Kom­mu­ne noch ver­zwei­fel­ten Wider­stand, an die­sem Tag fie­len ihre letz­ten Kämp­fer auf dem Fried­hof Père Lachai­se. 30.000 vie­hisch Hin­ge­schlach­te­te, gleich ob Frau­en oder Män­ner, wur­den nach sie­ben Tagen der Mord­or­gie gezählt. Der Jour­na­list und Kom­mu­nar­de Pro­sper Lis­sa­ga­ray schrieb in sei­ner „Geschich­te der Kom­mu­ne von 1871“: „Es waren so vie­le Opfer da, dass die müde gewor­de­nen Sol­da­ten ihre Flin­ten auf die Ver­ur­teil­ten stüt­zen muss­ten. Auf der Ter­ras­se schwapp­te das Gehirn umher. Die Mör­der wate­ten in einem Sumpf aus Blut.“
Den Herr­schen­den war das noch nicht genug der Rache. 60 000 Anhän­ger der Kom­mu­ne füll­ten die Gefäng­nis­se oder wur­den in die Kolo­nien depor­tiert. Ihnen blieb die Hoff­nung auf ein nächs­tes Mal. Der Dich­ter Arthur Rim­baud fass­te sie in Wor­te: „Indes­sen – wir ste­hen am Vor­abend. Lasst uns unser Wesen auf­tun für jede Kraft und jede wirk­li­che Lie­be. Und beim Mor­gen­rot dann wer­den wir in leuch­ten­de Städ­te ein­tre­ten – noch in den Waf­fen einer hei­ßen Geduld.“

Man­fred Idler

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