Pro­fi­fuß­ball und Moral­phi­lo­so­phie in Zei­ten der Pandemie

Geld­ver­meh­rungs­im­pe­ra­tiv

Obgleich Kör­per­kon­takt wegen des Wütens der Coro­na-Pan­de­mie strikt ver­mie­den wer­den soll, erlaub­te die Staats­ge­walt unlängst die Wie­der­auf­nah­me des kör­per­kon­takt­rei­chen Spiel­be­trie­bes der 1. sowie 2. Fuß­ball­bun­des­li­ga, und zwar ab Mit­te Mai in Form von zuschau­er­lo­sen Geis­ter­spie­len. Die­ser Wider­spruch, der sogar eini­gen Fans der Düs­sel­dor­fer For­tu­na auf­ge­fal­len sein soll, hat sei­nen Grund im Geld­ver­meh­rungs­im­pe­ra­tiv, der die markt­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­ons­wei­se antreibt.

Um die Ver­meh­rung des inves­tier­ten Unter­neh­mer­gel­des (Geld-Ware-Geld)* als Zweck des Markt­wirt­schafts­sys­tems zu beför­dern, greift der Staats­ap­pa­rat unter dem Druck der Pan­de­mie als ideel­ler Gesamt­ka­pi­ta­list in die Volks­wirt­schaft ein, damit die « Volks­ge­sund­heit » durch Schutz­maß­nah­men gewähr­leis­tet wird. Ver­hin­dert wer­den soll auf die­se Wei­se der Zusam­men­bruch des Sys­tems, den Krank­heit und Tod zu vie­ler Arbeits­kräf­te ver­ur­sa­chen würden.

Dass Die­ter Kempf als Prä­si­dent des Indus­trie­ver­ban­des BDI seit eini­ger Zeit das Ende des staat­lich ver­ord­ne­ten „Shut­down“ for­dert, ver­weist auf ein Para­do­xon: Der Staat als ideel­ler Gesamt­ka­pi­ta­list muss rea­len Ein­zel­ka­pi­ta­lis­ten mit­un­ter Maß­nah­men zum Schutz der « Volks­ge­sund­heit » auf­herr­schen, um deren Pro­fit­ma­che­rei wei­ter­hin zu ermög­li­chen. Weil es dem Staats­ap­pa­rat aber – ent­ge­gen staats­from­mer Pro­pa­gan­da – nicht um die Gesund­heit eines jeden Indi­vi­du­ums geht, wer­den zahl­rei­che Arbeits­kräf­te aus Grün­den des Pro­fits einem hohen Gesund­heits­ri­si­ko aus­ge­setzt. Dazu gehö­ren auch die moder­nen Gla­dia­to­ren des Profifußballs.

Als staats­dien­li­cher Pro­pa­gan­dist betä­tigt sich bei­spiels­wei­se der Moral­phi­lo­soph Jür­gen Haber­mas. In Zei­ten der Coro­na-Pan­de­mie will er das pro­fit­ori­en­tier­te Nütz­lich­keits­den­ken der kapi­ta­lis­ti­schen Markt­wirt­schafts­ak­teu­re mit­tels eines kom­mu­ni­ka­ti­ven Appells außer Kraft set­zen. Und zwar der­ge­stalt, dass er die Staats­po­li­ti­ker mit moral­phi­lo­so­phi­scher Ver­ve ermahnt, „ihre Stra­te­gie an dem Grund­satz aus­zu­rich­ten, dass die Anstren­gung des Staa­tes, jedes ein­zel­ne Men­schen­le­ben zu ret­ten, abso­lu­ten Vor­rang haben muss vor einer uti­li­ta­ris­ti­schen Ver­rech­nung mit uner­wünsch­ten öko­no­mi­schen Kos­ten, die die­ses Ziel zur Fol­ge haben kann“ (FR​.de vom 10. 4. 2020).

Dass aber die staats­from­me Aus­sa­ge des Moral­phi­lo­so­phen Haber­mas, dem Staats­ap­pa­rat gehe es dar­um, „jedes ein­zel­ne Men­schen­le­ben zu ret­ten“, eine kon­tra­fak­ti­sche Unter­stel­lung ist, stellt der Staats­mann Schäub­le im „Tages­spie­gel“ vom 26. April klar: Nicht rich­tig sei, dass alles vor dem Schutz von Leben zurück­zu­tre­ten habe. Es müss­ten „auch die gewal­ti­gen öko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen abge­wo­gen wer­den“, die das staat­li­che Ein­grei­fen habe. Erin­nert wird so an den kate­go­ri­schen Impe­ra­tiv des Markt­wirt­schafts­sys­tems: Die unter­neh­me­ri­sche Pro­fit­ma­xi­mie­rung hat Vor­rang – zuwei­len sogar vor mensch­li­chem Leben.

Ob der Moral­phi­lo­soph mitt­ler­wei­le der Macht des Fak­ti­schen sich gebeugt hat, wis­sen wir nicht. Aber an der Beschaf­fen­heit des hie­si­gen Gesund­heits­we­sens zeigt sich, dass es dem Staats­ap­pa­rat fak­tisch um die Auf­recht­erhal­tung der « Volks­ge­sund­heit » im bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­schen Sinn geht. Weil es ein Geschäfts­be­reich wie ande­re ist, ist sein Ziel die Pro­fit­ma­che­rei, sodass die Behand­lung der Pati­en­ten sich rech­nen muss. Die Pro­fit­ori­en­tie­rung mit­tels „Fall­pau­scha­len“ hat zur Fol­ge, dass die Kran­ken­häu­ser Fabri­ken sind, in denen mit wenig Per­so­nal kos­ten­güns­tig waren­för­mi­ge Dienst­leis­tun­gen erbracht wer­den, um den Betriebs­ge­winn spru­deln zu lassen.

Damit die­se unge­sun­de Zumu­tung ver­schwin­det und ein Gesund­heits­sys­tem, in dem es um die Ret­tung jedes ein­zel­nen Men­schen­le­bens geht, Rea­li­tät wird, statt kon­tra­fak­ti­sche Unter­stel­lung zu sein, ist die Außer­kraft­set­zung des Geld­ver­meh­rungs­im­pe­ra­tivs von­nö­ten. Ein­ge­rich­tet wer­den müss­te eine Pro­duk­ti­ons­wei­se, deren Zweck nicht der unter­neh­me­ri­sche Gewinn, son­dern die plan­mä­ßi­ge Befrie­di­gung der Bedürf­nis­se aller Gesell­schafts­mit­glie­der ist.

* Der win­zi­ge senk­rech­te Strich hin­ter dem Wort Geld“ ist kein Tipp­feh­ler, son­dern ein mathe­ma­ti­sches Zei­chen namens Inkre­ment, das den mons­trö­sen Zweck des kapi­ta­lis­ti­schen Pro­du­zie­rens sym­bo­li­siert:
Ver­meh­rung des Unter­neh­mer­gel­des, das in die Pro­duk­ti­on von Waren inves­tiert wird. 

Dis­kus­si­ons­bei­trag

Franz Anger