Instru­men­ta­li­sier­tes Gedenken

Auch im 76. Jahr nach der Befrei­ung des Ver­nich­tungs­la­gers Ausch­witz bie­tet das offi­zi­el­le Geden­ken an die­ses Ereig­nis in der Ber­li­ner Repu­blik das glei­che Bild wie in den Jah­ren zuvor. Da ist zunächst ein­mal die inzwi­schen eta­blier­te schlech­te Tra­di­ti­on, die Befrei­er gar nicht oder nur in einem Bei­satz zu erwäh­nen. Aus­ge­schlos­sen ist es erst recht, Wor­te des Dan­kes für sie zu fin­den. Der Weg nach Ausch­witz, zu sei­ner Befrei­ung wur­de erkämpft von Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten der Roten Armee, von denen tau­sen­de ihr Leben opfer­ten. In einem bekann­ten sowje­ti­schen Lied die­ser Tage heißt es: „Das soll der Krieg des Volks, der Sieg der Mensch­heit sein.“ Wo wur­de die­ser Anspruch deut­li­cher ein­ge­löst als bei der Befrei­ung von Ausch­witz? In der Tat war dies ein Sieg der Mensch­heit. Aber noch nie kam man auch die Idee, Vete­ra­nin­nen und Vete­ra­nen der Roten Armee zur Gedenk­ver­an­stal­tung in den Bun­des­tag ein­zu­la­den. Dass dies ein Grund ist, sich zu schä­men, dürf­te den Ver­ant­wort­li­chen kaum bewusst sein.

Es fehl­te nicht an Wor­ten der Betrof­fen­heit und am beschwö­rend wie­der­hol­ten „Nie wie­der!“. Wie passt es zu die­sen heh­ren Wor­ten, dass sich die Bun­des­re­pu­blik einen Inlands­ge­heim­dienst leis­tet, der mör­de­ri­sche Nazi-Struk­tu­ren mit Auf­bau­hil­fe ver­sorgt? Der NSU beging sei­ne Ver­bre­chen unter dem Auge des Staa­tes. Unan­ge­mes­sen ist hier das Gere­de von „staat­li­chem Ver­sa­gen“, denn nie­mand pumpt aus Ver­se­hen oder Unver­mö­gen Geld in ter­ro­ris­ti­sche Grup­pen. Skan­da­lös ist in die­sem Zusam­men­hang auch der Angriff auf die Gemein­nüt­zig­keit der VVN/​BdA – einer Orga­ni­sa­ti­on, die genau für die Zie­le und Wer­te steht, die an ent­spre­chen­den Gedenk­ta­gen gefei­ert werden.

Hier emp­fiehlt sich der Blick auf struk­tu­rell – his­to­ri­sche Ursa­chen. Es war der Chef des Ver­fas­sungs­schut­zes Schrüb­bers, der sei­ne Behör­de einst mit ehe­ma­li­gen Ange­hö­ri­gen von SS und Gesta­po nach­hal­tig präg­te. Und dies geschah in ein einem Staat, des es pas­send fand, einen Her­mann Josef Abs mit dem Gro­ßen Ver­dienst­kreuz zu deko­rie­ren. Zur Erin­ne­rung: Abs war nicht nur Vor­stands­mit­glied der tief in Nazi­ver­bre­chen ver­strick­ten Deut­schen Bank, son­dern gehör­te auch dem Auf­sichts­rat der IG Far­ben an, die in Ausch­witz ein eige­nes Lager unter­hielt. Das Wir­ken sol­cher „Ehren­män­ner“ sym­bo­li­siert die tabui­sier­te Kon­ti­nui­tät des deut­schen Stre­bens nach Welt­macht­stel­lung, heu­te poli­tisch kor­rekt umschrie­ben als „Über­nah­me inter­na­tio­na­ler Ver­ant­wor­tung.“ Trei­ben­de Kraft in der mör­de­ri­schen Expan­si­ons­po­li­tik sowohl des Kai­ser­rei­ches als auch der Nazi­dik­ta­tur war der nie­mals ver­schwun­de­ne impe­ria­lis­ti­sche Expan­si­ons­drang des eige­nen Groß­ka­pi­tals. Die herr­schen­de Klas­se und ihre poli­ti­schen Ver­tre­ter nut­zen heu­te den Gedenk­tag zur Befrei­ung von Ausch­witz, um sich der Welt als mora­lisch geläu­tert zu prä­sen­tie­ren. Wer von den edlen Moti­ven der Huma­ni­tät und Tole­ranz beseelt ist, hat auch das Recht, sei­ne Pan­zer bis an die rus­si­sche Gren­ze rol­len zu las­sen oder sei­ne Mari­ne vor die chi­ne­si­sche Küs­te zu schi­cken. Eine offen­kun­di­ge Anknüp­fung an äuße­re For­men frü­he­rer deut­scher Groß­macht­po­li­tik wäre hier kon­tra­pro­duk­tiv. Aber das Wesen der Sache ändert sich dadurch nicht. Und dies besteht in Reak­ti­on im Inne­ren und in Kriegs­vor­be­rei­tung nach außen. Der dama­li­ge grü­ne Außen­mi­nis­ter Fischer hat­te die Dreis­tig­keit beses­sen, der ers­ten deut­schen Angriffs­krieg seit 1945 mit dem Hin­weis auf Ausch­witz zu recht­fer­ti­gen. Seit­her müs­sen die Opfer der Shoa gegen sol­che und ähn­li­che ent­eh­ren­de Instru­men­ta­li­sie­run­gen in Schutz genom­men wer­den. Wer ehr­lich für Demo­kra­tie und Frie­den ein­tre­ten möch­te, soll­te gewarnt sein, in die­sem dem­ago­gi­schen Pseu­do-Anti­fa­schis­mus einen ver­meint­li­chen Bünd­nis­part­ner zu sehen.

Erik Höh­ne